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Den Wind bewahren

Wer einen Film über den Wind dreht, lässt sich auf ein poetisches Abenteuer ein, das die Grenzen filmischen Ausdrucks auslotet. Das ist im Fall von Bernhard Pötschers neuem Film nicht anders, auch wenn Pötscher sich auf einen einzigen Wind konzentriert, auf die Bora, die an der kroatischen Adriaküste Spitzengeschwindigkeiten in Orkanstärke von bis zu 250 km/h erreicht.

Man spürt den Wind auf der Haut, wenn er sie als Brise sanft umschmeichelt, man spürt ihn am ganzen Körper, wenn eine Böe ihn erfasst. Man hört den Wind, wenn er durch die Gassen pfeift oder über Land und Meer hinwegweht – nur sehen kann man ihn nicht, jedenfalls nicht direkt. Um den Wind zu sehen, ist man auf Indizien angewiesen, die Pötschers Film variantenreich ins Bild setzt: Von der umgeknickten Baumkrone und der verbogenen Schaufel eines Windrads, die von der Kraft der Bora zeugen, über die dunklen, schweren Wolken am Himmel, die ihr Kommen ankündigen, bis zu den Bäumen, Sträuchern und Gräsern, den Wellen und der Gischt, die ebenso zu einem Spiel der Bora werden wie die Menschen, die sich mit aller Kraft dem Wind entgegenstemmen.

Mit dieser Beschreibung soll freilich nicht der Eindruck erweckt werden, in Pötschers Film wehe der Wind ständig in Orkanstärke. Die spektakulären Aufnahmen, die den Wind bei der Entfaltung seiner Kraft zeigen, sind überaus sparsam gesetzt. Sie skandieren den Film eher, als dass sie ihm ihren Stempel aufdrücken, und schaffen damit beiläufig Raum für jene Geschichten, um die es geht: Für Geschichten, die die Menschen in dieser Gegend von der Bora erzählen, sowie für Geschichten, auf die sie kommen, sobald sie von der Bora erzählen.

Bereits 1856 hatte Karl Marx die an der dalmatinischen Adriaküste lebenden Menschen als »robuste und nüchterne Seefahrer« charakterisiert, die von der Bora, dem kargen Land und dem Meer geformt werden. Wie der Film zeigt, geben sie auch heute noch robust und nüchtern Auskunft über ihr eigenes oder anderer Leute Schicksal, das neben der Bora auch von Krieg und Armut geprägt wird: Mit der Seefahrt ist kein Geld mehr zu verdienen, seit der Hafen von Senj im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, und der Kroatienkrieg hat die mit Freiheit und Selbstbestimmung verbundenen Hoffnungen aufgebraucht. Was bleibt, ist der Tourismus, mit dem sich die Jungen mehr schlecht als recht über Wasser halten. Gäbe es die Fotografie nicht, sagt einer von ihnen, wäre er schon längst verrückt geworden.

Mit einer Gruppe von Gleichgesinnten geht er Stürme jagen, um sie in Zeitrafferaufnahmen festzuhalten oder ihre Geschwindigkeit mit einem Messgerät zu ermitteln. Dass die Bora die Seele aufheitert, sagt auch der ortsansässige Poet gegen Ende des Films. Zuvor hat er gerade noch davon gesprochen, dass er, obwohl es ihm selbst gut geht, so lange nicht glücklich sein könne, so lange er Unglückliche sehe.

An Szenenabfolgen wie diesen wird deutlich, dass Pötschers Film die Gewalt der Natur von der Gewalt der Geschichte zu trennen weiß, auch wenn er sie zueinander ins Verhältnis setzt. Seine poetische Strategie legt der Film aber ohnehin bereits viel früher offen: Nach etwa der Hälfte des Films steht ein Besuch im »Museum der Winde« in Triest auf dem Programm. Rino Lombardi sammelt dort Winde aus aller Welt, die ihm in Flaschen zugesandt werden. Eine zutiefst sympathische und träumerische, wenn auch ein wenig alberne Idee: Wer den Wind einzufangen und festzuhalten versucht, hält auf Flaschen gezogene Luft in Händen.

Die auffällige Präsenz von Leuten, die den Wind mittels Fotografien und in Flaschen, in Erzählungen und Gedichten festhalten, legt für die Lektüre des Films allerdings eine unübersehbare Spur: Denn in Pötschers Film weht der Wind wirklich über das Land, über das Meer und durch die Geschichten hindurch, die die Menschen vom Wind erzählen. Seine Besonderheit besteht darin, dass er die Bora weder einzufangen noch festzuhalten, sondern zu bewahren sucht – was das genaue Gegenteil von Einfangen und Festhalten ist. Bewahren heißt, dem Wind seine eigene Bewegung, Dynamik und Stärke zu geben. Mit den Mitteln des Kinos. Genau das macht Pötschers Film.

Vrääth Öhner

In Triest haben sie ihm ein eigenes Museum eingerichtet, wo aus Freundlichkeit aber auch die schwächeren Winde dieser Welt in Einmachgläsern gesammelt werden. Im kroatischen Senj indes fegt der Bora-Fallwind seit Jahrhunderten mit Geschwindigkeiten jenseits pazifischer Hurricanes durch die Häuser und Seelen der Küstenbewohner, fräst sich ein in Landschaft und Lebensläufe. „Die Bora spielt alle Instrumente“, wissen nicht nur die Alten, deren geübte Sinne allemal jede Wetter-App übertreffen: Wenn man über der Meeresoberfläche eine feine blaue Linie entdeckt, bleiben nur noch Minuten zur Umkehr – lokales Beobachtungswissen, dem heutzutage eine globale Dringlichkeit zukommt.

Stephan Settele

A wise film theorist said: “One cannot see the wind itself, only its effects on other, visible things. Cinema was born to film these traces that the wind leaves”. Filmmakers from King Vidor to Joris Ivens have been obsessed with capturing the path of wind in images and sounds. Now Bernhard Pötscher approaches the same documentary challenge; he shoots the landscape of Senj in Croatia, its water and clouds. But, mostly, he seeks to capture the often savage and unpredictable wind named Bora through the stories that Senj’s inhabitants tell of it. Different levels and types of history are called up and interwoven: individual personalities, groups of enthusiasts known as “storm chasers”, the devastating effects of World War II, modern tourism, farming procedures, technical and scientific reports. The filmmaker finds his mirror-images everywhere: in amateur photographers, rescue boat documentation, computer users, museum archivists. We learn that this is a place moving backward in time, not forward: civilisation is precarious, and tough, foolhardy, solitary people hurl themselves impossibly against the fierceness of nature. Dress warmly for the screening; this docu will give you a phantom chill.

Adrian Martin